Mehrere Gespräche, intensive Abstimmungen mit HR und Fachabteilung, ein durchweg positives Signal vom Unternehmen, vielleicht sogar schon über Starttermine gesprochen – und dann der plötzliche Rückzieher des Bewerbers.

Für viele Unternehmen ist das eine bittere Erfahrung – denn der Auswahlprozess war lang, Ressourcen wurden gebunden, Hoffnung aufgebaut.

Und für Personalberater ist es ein Rückschlag, wenn es im letzten Moment doch nicht passt.

Ein Rückzug aus dem Auswahlprozess ist biologisch betrachtet eine Fluchtreaktion: Der Kandidat oder die Kandidatin empfindet Unsicherheit, Unklarheit oder Ambivalenz – und wählt den Weg, der kurzfristig als sicherer erscheint: nicht wechseln.

Damit greift in dieser Stresssituation eines der drei uralten Verhaltensmuster: Kampf (fight), Flucht (flight) oder Erstarren (freeze).

Was löst diese Reaktion aus?

  1. Verlustangst statt Vorfreude Das Neue mag attraktiv sein – aber was lasse ich zurück? Menschen überschätzen oft das Risiko und unterschätzen ihre Fähigkeit zur Anpassung.
  2. Kognitive Dissonanz Wenn Unternehmensbotschaft und persönlicher Eindruck nicht übereinstimmen (z. B. Werte, Kultur, Führungsstil), entsteht ein Spannungsfeld – das nicht immer bewusst benannt werden kann.
  3. Emotionale Unterversorgung im Prozess Kein Kontakt zur künftigen Führungskraft? Kein klares Bild von der Aufgabe? Keine echte Beziehung? Dann fehlt das emotionale Fundament für die Entscheidung.
  4. Zu viele Optionen – zu wenig Differenzierung In einem Markt mit vielen Möglichkeiten entscheiden oft gefühlte Details – Vertrauen, Nähe, Zugehörigkeit.

Entscheidungen im Gehirn folgen nicht dem Modell eines Taschenrechners – sondern ähneln einem Netzwerk aus Reizen. Auf der einen Seite stehen erregende Reize wie Neugier und Begeisterung. Dagegen wirken jedoch hemmende Reize wie Angst oder Zweifel.

Erst wenn die Summe der positiven Impulse eine bestimmte Schwelle überschreitet, fällt die Entscheidung positiv aus. Fehlt ein starker Reiz – oder dominieren die Zweifel – bleibt die Entscheidung aus und die Flucht wird angetreten.

Was Unternehmen tun können, um Rückzieher zu verhindern

  1. Frühzeitige persönliche Bindung aufbauen Nicht nur „screenen“, sondern in Beziehung gehen. Authentizität schlägt Perfektion.
  2. Sicherheit durch Klarheit schaffen Keine vagen Aussagen, keine offenen Fragen – sondern ein starkes „Warum“. Warum diese Rolle, warum dieses Unternehmen, warum jetzt?
  3. Emotionales Commitment fördern Beteiligung der Führungskraft im Prozess, informelle Kontakte, Einblicke ins Team – all das stärkt das Gefühl von Zugehörigkeit.
  4. Entscheidung reifen lassen – aber steuern Geben Sie Raum zur Reflexion, aber bleiben Sie präsent. Entscheidungen sind keine Einbahnstraße.
  5. Nicht nur Talente gewinnen – sondern Vertrauen Denn Vertrauen ist die Währung, in der Entscheidungen getroffen werden.

Was wir als „Rückzieher“ erleben, ist oft keine Ablehnung – sondern eine nicht gereifte Entscheidung. Die Biologie zeigt uns: Ein Organismus verlässt einen stabilen Zustand nur dann, wenn er im Neuen ein höheres Maß an Sicherheit, Sinn oder Entwicklung erkennt.